AUS DER ERÖFFNUNGSREDE

anläßlich der Vernissage am 10. Juli 1998 im Kreishaus Helmstedt

Kyong Lee wurde 1967 in Seoul in Südkorea geboren. Sie beschäftigt sich seit 1982 intensiv mit Malerei, zunächst in Studienvorbereitungskursen, in denen sie Maltechniken erlernte, später in ihrem Studium in Seoul, das sie 1991 mit dem Art Baccalaureat abschloß. Seit 1992 ist sie mit ihrem Mann in Deutschland, wo sie erst in Düsseldorf Sprachkurse belegte. Im Sommer 1994 kam sie nach Braunschweig an die Kunsthochschule und in unsere Klasse. Seitdem haben wir ihre künstlerische Entwicklung seitdem mitverfolgen können.

Bereits seit langem ist das Thema ihrer Bilder das Wasser – wie es auch hier in der Ausstellung zu sehen ist. – Sie hatten ja schon Gelegenheit, sich über die Arbeiten einen Überblick zu verschaffen. – Oberflächlich betrachtet, könnten es einfach nur schöne Bilder sein – Landschaftsmalerei sozusagen. Die Arbeiten stehen jedoch nicht in der Tradition der klassischen Landschaftsauffassung.

Kyong Lee interessiert sich für das Wasser als künstlerisches Motiv, da es sozusagen formlos und dadurch formbar ist. Im Gegensatz zu Dingen mit einer festen Gestalt empfindet sie Wasser als auf der Leinwand von ihr kontrollierbar. Sie sagt, andere Bildgegenstände, vor allem auch der menschliche Körper, mit dem sie sich intensiv befaßt hat, seien in ihrer Form zu fest und zuwenig änderbar. Lange hat sie mit Spiegelungen und Verzerrungen des Körpers durch das Wasser gearbeitet – einige dieser früheren Arbeiten sind heute auch hier zu sehen. Damals interessierte sie vor allem der Kontrast zwischen Organischem und Anorganischem. Aus genanntem Grund – also aus der mangelnden Verformbarkeit des Bildobjekts Körper – gab sie diese Herangehensweise schließlich auf. Seit längerem malt sie nun allein Wasser in allen möglichen Formen und bevorzugt dabei eher ungewöhnliche Perspektiven: ihre Bilder zeigen meist extreme Nah- bzw. Fernaufnahmen – sprühende Gischt oder Blicke aus dem Flugzeug herunter auf Flußlandschaften, wodurch sie sich auch von üblicher Landschaftsbetrachtung unterscheiden.

Am Wasser fasziniert einerseits die Farbe, in der es erscheint, die Tiefe, die sich auch in den Bildern zeigt – und andererseits das Prinzip des Fließenden, die Kraft, die Bewegung sogar unter stiller Oberfläche. Dieses Element verfügt über eine große Anziehungskraft – trotz – oder vielleicht auch wegen der Bedrohung, die von ihm ausgehen kann. Solches empfindet offensichtlich auch die (trotz mehrfacher Bemühungen noch) Nichtschwimmerin Kyong.

Die Schönheit des Wassers – und damit die Schönheit dieser Bilder – ist sicher von gefährlicher Verführungskraft – verführend zu einer rein oberflächlichen Betrachtung, zu unreflektiertem ästhetischem Genuß ihrer dekorativen Wirkung. Jedoch sollte man den Arbeiten den Gefallen tun, sich nicht nur auf die sinnliche, sondern auch auf die konzeptuelle, die Kopf-Seite einzulassen. Hinter der Oberfläche verbirgt sich eine Philosophie, die auf die zwei Seiten des Naturelements verweist. die weiche – und die harte bzw. starke Seite.

Die koreanische Sichtweise vergleicht auch das Wesen mancher Menschen mit dem Wasser – was ein hohes Lob ist. Dieser Vergleich wird angewendet auf innerlich starke Charaktere, die nach außen hin jedoch weich (wohl am ehesten zu deuten als sanftmütig und menschenfreundlich) sind.

Sicher ist auch Kyong solch ein gefestigter Charakter, wenn man die Beharrlichkeit und Energie kennt und bedenkt, mit der sie an ihren selbstgestellten Aufgaben weiterarbeitet. Das weiche, aber steinzerschneidende Wasser gilt in Korea als das stärkste Element – und Kyong Lee malt darüber Bilder, die nicht nur schön, sondern auch stark sind.

1998 © Astrid Köppe